
23. April 1607
Heute begegneten wir einer Pflanze, die längliche, leuchtend rote Früchte trägt. Ein Rot, das ich kaum beschreiben kann: tief und lebendig, als wäre es von der Wärme der Erde selbst genährt und schöner als das Abendrot, das den Himmel über den Pyrenäen färbt.
Wir probierten sie. Ihr Aroma ist unvergleichlich. Erst fruchtig – aber dann entfacht sie ein wunderliches leichtes Brennen auf der Zunge, das aufregend und beinahe magisch ist.
15. Juli 1607
Es sind nur wenige Wochen vergangen, doch die Gorria wächst prächtig. Wir haben ihre Samen auf einem sonnigen Feld bei Espelette ausgesät und sie scheint sich gut an den neuen Boden gewöhnt zu haben. Unsere erste Ernte war so üppig, dass Joana die Idee hatte, die Früchte zu trocknen und zu mahlen. Sie hat kleine Gläser für all unsere Nachbarn und Freunde abgefüllt.
Wir nennen es Piment d’Espelette.

1 – Den Ofen auf 180° C vorheizen.
2 – Die Kappen der Tomaten abschneiden und das Fruchtfleisch mit einem kleinen Löffel aushöhlen, ohne die Wände zu zerstören.
3 – Petersilie hacken.
4 – Hähnchenbrust bzw. Tofu in Stücke schneiden.
5 – Das Fleisch bzw. den Tofu, die Petersilie, und den Käse zusammen mit einem Schuss Olivenöl, einer Prise Salz und Piment d’Espelette vermixen bis eine homogene Masse entsteht.
6 – Bei Bedarf vom Tomatenfruchtfleisch dazugeben.
7 – Die Tomaten mit der Masse befüllen und in eine Gratinform stellen. Mit Olivenöl beträufeln.
8 – Etwa 30 Minuten backen. Erst nach 20 Minuten die Kappen auf die Tomaten setzen und mitbacken.
BON APPETIT!
Edition der Arche XXVI
Mit unserer „Edition der Arche“ möchten wir an handwerklich hergestellte Produkte erinnern, die heute kaum noch zu erhalten sind. Sie sind Zeitzeugen einer langen Esskultur und laden zu einmaligen Geschmackserlebnissen ein. Zum Erhalt dieser „Kulturgüter“ möchten wir einen kleinen Beitrag leisten.




Zwischen Pyrenäen und Atlantik liegt die Wiege des Piment d’Espelette: das Baskenland. Hier fanden die Basken vor tausenden von Jahren Schutz vor Invasionen, fruchtbaren Boden und ein mildes Klima, dichte Wälder für die Jagd – und das Meer als eine unerschöpfliche Quelle für Fischerei. Kein Wunder also, dass ihre Kultur ebenso von der berühmten auf Fisch und Meeresfrüchten basierenden Küche geprägt ist, wie durch den Ballsport Pelota, die Baskenmütze oder ihre Sprache, die älter ist als jede heute noch gesprochene indogermanische Sprache.
Durch die Nähe zum Meer waren Fischerei und Walfang seit jeher von zentraler Bedeutung für die Basken. Mit der Zeit entwickelten sich ihre Boote zu hochseetauglichen Schiffen, sie lernten, Fisch als Proviant für lange Reisen zu konservieren und wurden schließlich europaweit gefragte Schiffsbauern, Lotsen und Seefahrer – besonders im 16. Jahrhundert, dem großen Zeitalter der Entdeckungen …
Die stolzen Basken sind sich jedenfalls sicher: Ohne ihre Erfahrung und ihre Kenntnisse wären die Expeditionen von Größen wie Vasco da Gama oder Christoph Kolumbus weitaus schwieriger und weniger erfolgreich gewesen. Baskische Seefahrer reisten auch selbst über die Weltmeere, knüpften Handelsbeziehungen und brachten neue Gewürze und Pflanzen mit in ihre Heimat. So kam auch eine besonders aromatische Chili-Sorte aus Mittelamerika nach Südfrankreich. Seit Jahrhunderten wird sie rund um den Ort Espelette angebaut, wo genau die klimatischen und geographischen Bedingungen herrschen, die für ihren einzigartigen Geschmack entscheidend sind. Die Basken gaben ihr den Namen Gorria – baskisch für: die Rote.

Die Gorria stammt wie alle Vertreter der Art Capsicum annuum aus dem heutigen Mexiko. Sie wächst an mittelgroßen Sträuchern, die maximal 30 Früchte tragen. Erst wenn diese tiefrot sind, werden sie handverlesen geerntet, getrocknet und gemahlen. Denn nur so entfaltet das Gewürz den fruchtig-süßen, leicht rauchigen Duft, das feine Aroma und die milde Schärfe, die Köche auf der ganzen Welt begeistern. Zu Pulver oder Flocken verarbeitet trägt es den Namen Piment d’Espelette, Pfeffer aus Espelette – der aber außer seiner Schärfe nichts mit Pfeffer gemein hat.
2013 erhielt Piment d’Espelette das nationale Markenschutzsiegel AOC (Appellation d’Origine Contrôlée). Ein Produzent, der heute noch die enorm aufwendige Herstellung in Handarbeit macht, ist der kleine Bauernhof Haranea in Itsasu. Er gehört zu dem vom französischen Staat geförderten Verbund Idoki – eine Antwort auf die Entwicklung hin zu großen Agrarbetrieben. Bio-Betriebe wie Haranea, die neben dem Anbau von Gorria auch Schweine und Hühner halten, sind die letzten ihrer Art. Kleine Gemischtbetriebe mit vielfältiger Landwirtschaft lohnen sich auch in Frankreich finanziell immer weniger. Um dieses kulturelle Gut und damit die Vielfalt des Geschmacks zu bewahren, haben wir in diesem Jahr Piment d’Espelette in unsere Arche aufgenommen.
Durch sein harmonisches Aroma ist das edle Gewürz ein absolutes Multitalent in der Küche: Egal, ob in Salaten, an gebratenem Gemüse und gebratenen Pilzen, zu Geflügel, Fisch und Fleisch oder experimentell in Desserts – Piment d’Espelette bringt das Aroma des Baskenlandes in jedes Gericht. Wem wir es zu verdanken haben, dass die Gorria-Schote in Europa und schließlich in unseren Händen gelandet ist, wissen wir leider nicht. Aber wir haben eine Idee, wie es hätte gewesen sein können …

